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Keine Demokratie wagen
Ortsbeirat von Stadtverordnetenmehrheit abgelehnt
Die Stadtverordnetenversammlung hat den Vorschlag der Fraktion Die PARTEI Alternative für Umwelt und Natur, auch in den vier städtischen Ortsteilen Finow, Brandenburgisches Viertel sowie Eberswalde 1 und 2 wieder Ortsteilvertretungen in Form von Ortsbeiräten einzurichten mit großer Mehrheit abgelehnt. Dafür stimmten lediglich die beiden Mitglieder der Einreicherfraktion. Zudem gab es sechs Enthaltungen (4 x SPD|BFE, 2 x AfD). Alle anderen Stadtverordneten stimmten dagegen, daß in allen Ortsteilen die Menschen ihre Interessen mittels Ortsteilvertretungen einbringen dürfen.
Mirko Wolfgramm, Vorsitzender der Einreicherfraktion, verwies auf den sehr positiven Bericht des Bürgermeisters von der ersten Einwohnerversammlung im neuen Ortsteil Clara-Zetkin-Siedlung. Die gleichen positiven Wirkungen seien zu erwarten, wenn auch in den anderen Ortsteilen wieder Ortsteilvertretungen eingerichtet werden. Ortsbeiräte seien dafür besser geeignet als die früheren Ortsvorsteher, so Wolfgramm. Die letzten Ortsvorsteherwahlen im Jahr 2014 haben gezeigt, daß letztlich das große Interesse, das jeweils zu mehr als zwei Bewerbern führte, einen zweiten Wahlgang in der Direktwahl der Ortsvorsteher notwendig machte. Zum zweiten Wahlgang, bei dem die Ortsvorsteherwahl ohne begleitende Kommunal- und Europawahl stattfand, ging dann erwartungsgemäß kaum noch jemand hin. Daher sollten künftig Ortsbeiräte der Standard sein. Dadurch entfallen die restriktiven Vorschriften hinsichtlich des Quorums. Mehrfach bezog er sich auf den Willy-Brandt-Spruch »Demokratie wagen«. Gerade das wollten die anderen Fraktionen hingegen nicht, wie sich später herausstellte.
Sein Fraktionskollege Oskar Dietterle erinnerte an die Diskussionen zum Ausbau der Max-Lull-Straße, als es zu den vorgesehenen Aufpflasterungen erhebliche Einwände von betroffenen Einwohnern gab. Dies sei ein Beispiel, wie wichtig es sei, rechtzeitig die Einwohner in die Debatten hereinzuholen. »Wir brauchen unsere Mitbürger, wir müssen ihren Sachverstand nutzen«, so der Stadtverordnete. »Das geht am besten durch Ortsbeiräte.«
Frank Banaskiewicz (FDP|Bürgerfraktion Barnim), auf dessen Engagement gegen die Aufpflasterungen in der Max-Lull-Straße sich Oskar Dietterle zuvor lobend bezogen hatte, verwies indes auf einen irgendwann in früherer Zeit gefaßten ablehnenden Beschluß zu Ortsvertretungen in den städtischen Ortsteilen, weil dort direkt das Rathaus als Ort der Ansprache für die Einwohner fungieren könne.
Karen Oehler (Bündnis 90/Grüne), bis 2014 selber Ortsvorsteherin in Eberswalde 1, gab zur Kenntnis, daß sie jüngst eine Bürgerin angesprochen habe, daß sie sich als Ortsvorsteherin doch bitte um ein bestimmtes Problem kümmern solle. Dabei ist sie doch seit 2014 nicht mehr Ortsvorsteherin. Den offensichtlichen Bedarf an Ansprechpartnern im Ortsteil interpretierte die bündnisgrüne Stadtverordnete gegenteilig. Die Einwohner hätten zwar Interesse an einem Ansprechpartner für ihre alltäglichen Sorgen, beteiligen sich aber nicht an den dafür notwendigen Wahlen. Außerdem könne sie als Stadtverordnete genau soviel für die Bürger tun, wie als Ortsvorsteherin. Im übrigen, so Karen Oehler, gehe es in dem Antrag doch vor allem um die Ortsteilbudgets. Gerade die städtischen Ortsteile hätten hier doch viele andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Irgendwelche Belege führte die Stadtverordnete für ihre Vermutung nicht an.In der Beschlußvorlage und auch in der Begründung wird das nicht erwähnt.
Für die Linken erklärte Volker Passoke, daß seine Fraktion nicht glücklich mit dieser Beschlußvorlage sei. Die meisten Stadtverordneten würden in den städtischen Ortsteilen wohnen. In den ländlichen Ortsteilen sei dies anders. Dort gebe es nicht so viele Stadtverordnete, weswegen hier Ortsteilvertretungen angebracht seien.
Das Zuckerhütchen in der Diskussion steuerte mal wieder Carsten Zinn bei – einst selber Ortsvorsteher im Brandenburgischen Viertel. Er teile das Anliegen der Beschlußvorlage, sagte er. Im Jahre 2018 habe er selber mit seiner damaligen Fraktion gemeinsam mit der damaligen DIE SPD-Fraktion eine solche Vorlage initiiert. »Das war damals eine Heidenarbeit«. Damals ebenfalls ohne Erfolg. Auf die ersten Initiativen in diese Richtung schon vor der Kommunalwahl von 2014 und kurz danach ging Zinn nicht ein. Auch nicht darauf, daß die Initiative nicht auf seinem Mist aufwuchs und schon gar nicht auf seinen persönlichen Anteil am damaligen Scheitern. Obwohl er laut eigener Aussage das Anliegen, in den vier städtischen Ortsteilen Ortsbeiräte einzurichten, unterstütze, bezeichnet er die Beschlußvorlage, mit der genau dies erreicht werden soll, als »alibihaften Aktionismus«. Auf Begründungen oder Erläuterungen für diese Einschätzung warteten die Zuhörer freilich vergebens.
Man erfuhr aber, daß Zinn Mitleid mit der städtischen Kämmerei hat, die den gesamten Haushaltsplan umarbeiten müßte, wenn es zu den neuen Ortsbeiräten kommen würde. Das sind nachvollziehbare Gründe. Zinn schlug schließlich vor, daß sich die neue Stadtverordnetenversammlung nach der Kommunalwahl im Juni 2024 »ernsthaft« mit dem Thema beschäftigen solle. Insofern also eine Vertagung des Problems auf das Jahr 2029 oder wohl eher auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Mit der Ablehnung der Beschlußvorlage der Fraktion Die PARTEI Alternative für Umwelt und Natur hat sich das Thema für die Kommunalwahl 2024 erledigt. Eine Beschlußfassung im Dezember mit anschließender Hauptsatzungsänderung im Januar wäre die letzte Möglichkeit gewesen, die Fristen nach Kommunalwahlrecht einhalten zu können.
Gerd Markmann – 16. Dezember 2023
Siehe auch:
»Ein Ortsbeirat für den Kiez«
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