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Antirassismustag in Eberswalde:
»Wir sind alle Salah!«

Kundgebungen am Bahnhof und in der Senftenberger Straße

maxe. Der Internationale Tag gegen Rassismus am 21. März wird seit 1966 weltweit begangen. Die UNO hatte den Antirassismustag damals anläßlich des sechsten Jahrestags des Massakers von Sharpeville in Südafrika ausgerufen.

In diesem Jahr gab es in Eberswalde einen besonderen, einen traurigen Anlaß. Salah Tayyar, vor acht Jahren in die Bundesrepublik gekommen, weil er für sich Sicherheit erhoffte nach Verfolgung und Folter in seinem Heimatland Tschad und Krieg im Nachbarland Libyen, wohin er nach zweieinhalb Jahren Gefängnishaft geflohen war und für sechs Jahre Zuflucht gefunden hatte, nahm sich am 11. März das Leben.

Um 13 Uhr auf dem Vorplatz des Eberswalder Hauptbahnhofs lauschten mehr als 300 Menschen den Worten von Yahia Mohammed, einem Cousin des Verstorbenen, der in Berlin lebt und die Kundgebung am Bahnhof eröffnen wollte. Doch schon nach wenigen Worten versagte ihm die Stimme – angesichts des Todes von Salah und der anteilnehmenden Menge. Er übergab an den nächsten Redner.

»Wir erleben hier in Eberswalde soviel Rassismus: in der Ausländerbehörde, beim Sozialamt, bei den Ämtern und auf der Straße – jeden Tag!«, rief Mustafa Hussein ins Mikrofon. Er ist politischer Aktivist aus dem Sudan und selbst wie Salah und viele andere Anwesende im Klageverfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags. Wie so viele andere kennt er nur zu gut den Druck, die Ungewißheit und die tägliche Angst wegen der unklaren Perspektive.

Für ihn und die anderen geflüchteten Aktivistinnen und Aktivisten ist klar, daß dieser Druck, diese Angst, Salah in den Suizid getrieben haben. »Wir sind alle Salah!« ist deshalb das Motto der Kampagne. Auf einem Plakat zerstört eine Faust eine sogenannte »Duldung« – die Art von Ausweis, den viele Geflüchtete bekommen und mit dem sie kaum Rechte haben. »Stop Duldung! Stop making fear!«* steht darauf.

Noch wütender und enttäuschter ist Ahmed Rahama, ebenfalls aus dem Sudan. Er sagt in seiner Rede: »Fuck Asylsystem! Die Lage ist für mich einfach eskaliert. Ich habe keine Hoffnung mehr, in Deutschland zu leben. Fuck Ausländerbehörde! Fuck struktureller Rassismus in Deutschland!«.

Fiona Kisoso aus Kenia beginnt ihre Rede mit ruhigen Worten: »Normalerweise habe ich viel Power, wenn ich eine Rede halte. Diesmal fehlt mir die Energie, es hat mich zu traurig gemacht. Ich brauche die Energie von euch!« Sie animiert die Menge zu Sprechchören und plötzlich scheint doch sehr viel Energie von ihr selbst zu kommen. Sie sagt: »Wir wollen nur Chancengleichheit. Wir wollen eine Chance, uns zu integrieren, zu arbeiten, zur Schule zu gehen, ohne von den Behörden schikaniert und gestreßt zu werden.«

Aziza Al Sharwi fragt: »Wieviele Salahs brauchen wir, um die ungerechten Gesetze zu ändern?«

Viele schwarze Aktivistinnen und Aktivisten haben etwas zu sagen. Der Tod von Salah berührt viele. Einige sind aus Potsdam, Berlin oder Brandenburg/Havel angereist.

Der für 15 Uhr angesetzte Beginn der zweiten Kundgebung des Tages in der Senftenberger Straße, vor dem Haus, von dessen Balkon in der sechsten Etage sich Salah Tayyar in den Tod stürzte. Die Kundgebung am Bahnhof dauerte länger als geplant. Rund 30 Leute warten gut eine halbe Stunde vor dem Haus bis die Kundgebungsteilnehmer vom Bahnhof eintreffen.

Aufgrund der Corona-Beschränkungen hatte die Polizei keine Demonstration erlaubt, nur »ortsfeste« Kundgebungen. Rund 150 Menschen sind es schließlich, die sich vor dem Haus des Verstorbenen im Brandenburgischen Viertel versammeln.

Vor dem Haus in der Senftenberger Str. 4 bittet der Cousin des Toten zunächst die anwesenden muslimischen Gläubigen nach vorn zum Gebet. Nach einem darauf folgenden Moment der Stille geht Salah Bechir, ein Freund von Salah Tayyar, ans Mikrofon, um aus dessen Leben zu erzählen. »Salah hatte einen Traum, mit dem er nach Deutschland kam. Sein Traum war es für seine Familie sorgen zu können. Er hatte zwei Kinder und eine Frau im Tschad, die er seit vielen Jahren nicht sehen konnte. Er floh vor dem Militärgefängnis aus dem Tschad nach Libyen. Libyen mußte er wegen des Krieges verlassen.« Er beschreibt ihn: »Salah war ein stiller, bescheidener Mensch. Dabei war er freundlich und immer sehr hilfsbereit.«

Eric von Welcome United, der aus Brandenburg/ Havel angereist ist, erklärt: »Wir alle kommen mit Träumen hierher. Unser Traum ist es, ein normales Leben in diesem Land zu führen. Unser Traum ist, in Freiheit zu leben.«

»Wir kannten unseren Bruder seit er in Eberswalde ist«, erzählt ein Palanca-Mitglied. »Er war für uns ein Freund, immer hilfsbereit. Unser Beileid gilt vor allem seiner Familie im Tschad, seinen beiden Kindern, seiner Frau, seiner Mutter, die noch lebt, und seinen beiden Brüdern.«

Ein weiterer Redner appellierte an die afrikanische Community und die Flüchtlinge allgemein, sie sollten ihre gegenseitigen Vorbehalte und Zwistigkeiten beiseite legen und gemeinsam dieses System bekämpfen, das Menschen wie Salah in den Selbstmord treibt.

Die Gruppe »Barnim für alle« kündigte zum Abschluß eine weitere Kundgebung an einem Dienstag in den nächsten Wochen vor der Barnimer Ausländerbehörde an.

(21. März 2021)

* Stopp der Duldung! Stopp dem Angst machen!

Für diesen MAXE-Beitrag wurden große Teile der Pressemitteilung der Initiative »Barnim für alle« vom 21. März 2021 verwendet.

Siehe auch:
»Bürgerstiftung Barnim Uckermark: Zum Tod von Salah Tayyar«
»Ein Mensch springt in den Tod«




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