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Die verwandelte Stadt

Wie sich das Brandenburgische Viertel seit 1990 entwickelte

Im Museum der Stadt Eberswalde kann man sich zur Zeit die Ausstellung »Die verwandelte Stadt« ansehen. Hier wird der Versuch unternommen, die vielfältigen Entwicklungen des letzten Vierteljahrhunderts darzustellen, einer Zeit großer Umbrüche, im gesellschaftlichen wie im privaten. Man muß den Museumsmachern, wie auch dem Amt für Wirtschaftsförderung, das einen Begleitband gestaltet und gedruckt hat, Respekt zollen für einen bunten Überblick der Highlights von Kultur, Wirtschaft, Sport, Städtebau, Bildung und Politik.

Gezeigt werden Produkte der Seilrollenfertigung des ehemaligen Kranbaus, Highend-Lautsprecher der Firma C.E.R.T., ein Bedienelement eines Außenfahrstuhls, Utensilien eines Faschingsclubs, diverse Sportpokale und eine Videodokumentation über Eberswalde im Jahre 1990.

Daß über den Bau des Paul-Wunderlich-Hauses berichtet wird, über die Wiedereröffnung der forstlichen Fachhochschule und über die Sanierung und den Umzug des psychiatrischen Landeskrankenhauses, das alles ist natürlich selbstverständlich. Weniger verständlich ist hingegen, daß die Finower, die Nordender, die Ostender, die Westender und die Bewohner des Brandenburgischen Viertels in der Stadtgeschichte der letzten 25 Jahre überhaupt nicht vorkommen, so als sei Eberswalde noch der kleine Marktflecken des 18. Jahrhunderts, der vom Kanal bis zur Kirche reicht.

Die Passage wurde gebaut. Zu dieser Zeit wurde wohl in jeder größeren deutschen Stadt ein Einkaufscenter errichtet. Dafür mußten viele kleine Läden, besonders in der Eisenbahnstraße, ihr Geschäft aufgeben. Die Altstadt wurde saniert, sehr lobenswert. Aber damit die steigenden Mieten an den Mann bzw. die Frau gebracht werden können, mußte anderswo in Eberswalde »der Markt bereinigt« werden.

Diese andere Stadtgeschichte illustriert nebenstehende Abbildung: Im Brandenburgischen Viertel wurden im letzten Jahrzehnt 26 Wohnblöcke abgerissen. Preiswerter Wohnraum für 3000 Menschen!
Das Reimannviertel war in den 1980ern gefragt bei jungen Familien, moderne Häuser mit Zentralheizung und Bad. Auch viele Familien der sowjetischen Bundesgenossen wohnten hier im Waldviertel, während die MiGs zum Landeanflug nach Finow ansetzten.

In dem Video, das im Museum läuft, kann man zurückblicken: auf ein Reimannviertel voller Menschen, auf gut besuchte Kaufhallen, auf Spielplätze, die noch weit vom heutigen Standard entfernt waren – auf ein junges Wohngebiet, das noch vorwiegend von Sand, von Kiefern und von Trabants beherrscht wurde.

Reimannviertel - dieser Name wurde schnell obsolet in der neuen Marktwirtschaft Brandenburgs. Was lag näher, als das Viertel nach dem Land und die Straßen nach ihren Städten zu benennen? Ein Zeichen von märkischem Patriotismus. Aber auch ein Zeichen davon, die eigene Geschichte verdrängen zu wollen. Wenigstens das Denkmal des Namensgebers Max Reimann durfte stehenbleiben.

Noch wohnten 1992 über 13.000 Menschen im neuen Brandenburgischen Viertel, die teilweise recht gut verdienten. Der Geist der Zeit erforderte nun ein Einkaufszentrum und ein Bankgebäude, und so kam das Viertel zu einem richtigen Zentrum mit einem zentralen Platz, der zum Treffpunkt, zum Marktplatz und zum Festplatz wurde.

Aber vielen Familien wurde es zu eng im Wohngebiet, sie wollten ein Häuschen im Grünen, es gab ja so günstige Kredite vom Bankhaus! Wohnst du noch, oder baust du schon? Die neue Zeit machte es möglich.
Dazu kam die allgemeine Situation in den östlichen Bundesländern mit hoher Arbeitslosigkeit, was den Wegzug der jungen Leute in den Westen zur Folge hatte.

So kam es, daß immer mehr Wohnungen leer standen, die Vermieter nur noch wenig investierten und ein Block nach dem anderen abgerissen wurde. Es hieß, es werde im Rahmen des Stadtumbaus »zurückgebaut«. Ein schönes Wort für die Vernichtung von Werten. Erst kam der Bagger, dann kam der Schutt, dann kam die Sandfläche und dann kamen die Kräuter und Bäumchen. Gras wuchs über die ganze Sache.

Aber nicht nur Wohnungen mußten weg. Ganze 4 Schulen wichen den »Stadtumbauern«: die Grundschule Am Stadtwald (vorher 6. POS Max Reimann), die Gesamtschule Rosa Luxemburg (13. POS), die Gesamtschule Albert Einstein (14. POS Ernst Thälmann) und schließlich, im letzten Jahr, das alte Gebäude der Schwärzesee-Grundschule. Dabei wohnen hier im Viertel die meisten Kinder von Eberswalde. So viele Spielplätze wie hier gibt es in keinem anderen Stadtteil!

Aber die Goetheschule war wichtiger. Schließlich stammte sie noch aus alter preußischer Zeit. So müssen nun viele Oberschüler weit fahren am frühen Morgen. Mit einem Schülerabo der Barnimer Busgesellschaft (BBG).

Ach ja, die Busse! Die fehlten ein bißchen in der Ausstellung. Was wäre Eberswalde ohne seine Obusse? Das ist ein Auftrag ans Stadtmuseum. Das sollte man nicht der BBG alle Jubeljahre überlassen.

Das ehemalige Reimannviertel jedenfalls hat sich, ungewollt, dahin entwickelt, wie es sich der planende Architekt eigentlich vorgestellt hatte: großzügig, weit, mit Sonne und Licht und viel Grün. Und vielen spielenden Kindern. Aber was der Architekt sagt, ist das eine, das andere bestimmt die Politik ...

Jürgen Gramzow - 23. November 2015




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