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Donnerstag, 25. April, 19 Uhr: SHARED READING mit Carsten Sommerfeldt. Stammgäste dieses besonderen Lesekreises haben sicher schon Entzugserscheinungen. Alte wie neue Gäste sind herzlich willkommen! Mehr zum Ansatz von SHARED READING hier.


Frühlingsboten. Oder Rückeroberung der Beton- und Steinlandschaften.

Livestream der aktuellen Stadtverordnetenversammlung.


Wie sähen unsere Straßen aus, ohne Autos? Würden wir uns fremd vorkommen in der eigenen Stadt? Oder gewöhnt man sich an alles?

Die autogerechte Gesellschaft

Warum sich Deutschland vom Land der Autobahnen zum Land der Innovation und der Nachhaltigkeit entwickeln muss

Frage Nr. 1 bei einer Bewerbung: "Haben Sie einen Führerschein?" Die Fähigkeit, eine Blechkarosse auf vier Gummirädern durch verstopfte Straßen zu steuern, ist schon mal ein K.O.-Kriterium für die Karriere. Aber nicht nur der reine Schein wird verlangt. Nein, man muß auf Wohl und Wehe seiner Anstellung sich bereit zeigen, 150 km täglich zur Arbeitsstelle zu fahren. Und als Spezialist bitteschön zweimal die Woche durch ganz Deutschland zu kutschieren - natürlich mit dem eigenen PKW! Für solche Aktionen braucht man entsprechend PS und Komfort.

Die Mobilitätsanforderungen der heutigen Arbeitgeber erzwingen einen Lebensstil, der mit Nachhaltigkeit und Verantwortung gegenüber der Umwelt nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Zudem begünstigt der schleichende Niedergang des Öffentlichen Nahverkehrs - man denke nur an die Ausdünnung der Buslinien und an das Baustellen-Chaos bei der Deutschen Bahn - den beschleunigten Umstieg vieler Arbeitnehmer auf das eigene Gefährt. Dreimal wegen einer Zugverspätung die Arbeitszeit nicht eingehalten, das kann sich heutzutage keiner mehr leisten.

Der Verkehr wächst auf den Straßen. Der Lärm, die Abgase und die verschwendete Lebenszeit in endlosen Staus nehmen zu. Die wenigen Busse können in den verstopften Straßen ihre Fahrpläne nicht mehr einhalten, was zu Frust bei den Fahrgästen führt und zu noch mehr Abwanderung in den Individualverkehr. Es ist ein Teufelskreis, aus dem man nur sehr schwer wieder herauskommt. Was kann man tun?

Deutschland tut sich schwer damit, die privilegierte Stellung des PKW anzugreifen. Und das liegt nicht nur an der in diesem Land besonders starken Autoindustrie und den Millionen Arbeitsplätzen, die daran hängen. Der Wagen ist den Deutschen so sehr in Fleisch und Blut hineingewachsen, daß "ohne" es eine Katastrophe wäre. Wie käme man dann zur Arbeit? Wer führe die Kinder zum Training? Wie machte man den großen Wochenendeinkauf? Wie käme man im Urlaub auf den Campingplatz? Wie könnte man noch Tante Anna in Klein-Poselwitz besuchen? Das ist einfach: UNVORSTELLBAR!

Ein "UNMÖGLICH" gibt es aber nicht im Leben. So wie unsere Vorfahren noch beim Scheine einer Öllampe ihre abendlichen Verrichtungen durchführten, und zum "Geschäft" hinaus auf den Hof gingen, nichtsahnend, daß in 150 Jahren in jedem Zimmer elektrisches Licht leuchtet und ein rauschendes Keramikbecken gewisse Dinge in ein unterirdisches Labyrinth spült, genauso wenig können es sich heutige Menschen vorstellen, eines Tages ohne das Familienauto auszukommen, das einem in vielerlei Hinsicht treue Dienste leistet. Wie kann der Fortschritt also aussehen?

Die Lösung dieses Problems ist schicksalhaft. Die Geschichte der Menschheit zeigt klar auf: etliche Kulturen sind verschwunden, weil Raubbau an der Umwelt begangen wurde und die Lebensgrundlagen wegbrachen. Aber nicht nur chemische und biologische Ressourcen frißt die Autogesellschaft auf, es sind auch psychische Ressourcen, die das Auto zerstört: Vom Lärm, vom Gestank und den Staus abgesehen - ständig muß man auf den Verkehr achten, auf den Vordermann, den Hintermann, auf die Vorfahrt, auf die Tankanzeige, auf die Witterung, auf den Scheinwerfer, auf die Kurven, auf die Verkehrsschilder und auf die Blitzer. Dabei muß man eine gültige Kfz-Versicherung haben, die Fahrzeugpapiere, den Führerschein, ausgeschlafen muß man sein und darf kein Alkohol im Blut haben.

Für den Normalbürger sind das Selbstverständlichkeiten, so wie für die afrikanischen Gnu-Herden die Durchquerung der Krokodilflüsse. Auf einen Toten mehr oder weniger kommt es da nicht an. Doch die Gnus leben biologisch und nachhaltig. Das kann man vom Autoverkehr nicht behaupten.

Es braucht eine neue Kultur! Nicht das Auto darf mehr ein Statussymbol sein, wie früher das eigene Pferd, sondern meinetwegen das Fahrrad oder - nicht von der Hand zu weisen - das Smartphone. Und es braucht Gesetze, die die Arbeitgeber zwingen, auf unnötige Autofahrten zu verzichten: eine Art Demobilisierung der Arbeitswelt. Für das tägliche Leben und Überleben darf man nicht mehr vom Auto abhängig sein. Das bedeutet wohnnahe Arbeit, wohnnahe Geschäfte und komfortabler Bus- und Bahnverkehr. Das muss die Richtung sein!

Und wenn niemand mehr ein Auto braucht? Was passiert mit Deutschlands Arbeitsplätzen der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer? Es wird ein neues Erwerbsfeld kommen, das ähnlich kompliziert und aufwendig ist, wie die Herstellung eines Kraftwagens und für das die Deutschen bereit sind, ähnlich viel Geld auszugeben. Es kann das Feld der Computer sein, das Feld der Gesundheit oder der Freizeit, des Sports oder des Spiels. Genau kann man das noch nicht sagen. Aber eins ist sicher: die heutige Menschheit braucht ein neues, ein besseres Lieblingsspielzeug als das Auto - eins, das nachhaltig ist und mit der Natur im Einklang ...

Jürgen Gramzow - 28. November 2017




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